Warum Götze der bessere Schweinsteiger ist

Warum Götze der bessere Schweinsteiger ist

Warum Götze der bessere Schweinsteiger ist

Von THOMAS MERSCH und STEFAN MERX | 5/23/2013 | The Wall Street Journal: Deutschland

Es hätte sein krönendes Abschiedsspiel für den BVB werden sollen. Doch Mario Götze wird die gewaltige Bühne des Wembley-Stadions nicht betreten dürfen. Wenn das Champions-League-Finale am Samstag in London angepfiffen wird, muss der Dortmunder Mittelfeldstar verletzt zusehen. Genau dort am Rand sitzen, wo vielleicht der kommende Weltfußballer auf sich aufmerksam macht. Nicht dribbeln, nur gucken, den rechten Oberschenkel verfluchen.

Es ist die Höchststrafe. Sportlich sowieso, doch auch Götzes kommerzielle Berater werden der verpassten Chance nachtrauern. Ein Muskelfaserriss, der Götze „schon vor dem Anpfiff zur tragischen Figur” werden lässt, sagt Philipp Kupfer, Experte der Sponsoringberatung Repucom. „Auch für seine internationale persönliche Positionierung ist das sehr ärgerlich. Eine vergleichbare Möglichkeit bietet sich höchstens im Idealfall ein Jahr später oder zur Weltmeisterschaft 2014.”

Auf der anderen Seite des Platzes weiß bereits jemand, was es heißt, die tragischen Figur im Maximalspiel des Klubfußballs zu geben: Bastian Schweinsteiger. Der 28-Jährige will den Titel nach München holen, nachdem er im vergeigten Finale 2012 diesen Elfmeter an den Pfosten setzte. Jetzt ein magischer Moment in London – auch für Schweinsteiger wäre er Ruhm und bares Geld wert. „Die Chance, vor einem weltweiten Publikum den entscheidenden Pass zu spielen, das entscheidende Tor zu schießen, wirkt als extremer Beschleuniger beim Aufbau internationalen Renommees”, sagt Kupfer. Kapitalisiert wird das Image über Werbeverträge.

In einer Untersuchung, die dem Wall Street Journal Deutschland exklusiv vorliegt, hat Repucom analysiert, wie Götze und Schweinsteiger aktuell als potenzielle Werbepartner, sogenannte Testimonials, in Deutschland und den europäischen Kernmärkten ankommen. Befragt wurden nicht nur Fußballfans, sondern die Gesamtbevölkerung zwischen 16 und 69 Jahren kam repräsentativ zu Wort, um den sogenannten „Celebrity DBI” zu ermitteln. Dieses in den USA entwickelte Marktforschungsinstrument (Davie-Brown Index) gilt als ein Standard für Testimonial-Vermarkter. Agenturen wie IMG und BBDO oder der Getränkekonzern Pepsico setzen es ein, um Promis aus allen Bereichen auf ihre Markenaffinität und Kampagnen-Tauglichkeit hin abzuklopfen.

Schweinsteiger kennt in Deutschland fast jeder

Das Ergebnis? Ein Kopf-an-Kopf-Rennen: In Deutschland ist Schweinsteiger noch der deutlich bekanntere Kicker. Ihn kennen phänomenale 96,8 Prozent der Bevölkerung, den fast acht Jahre jüngeren Mario Götze hingegen nur 78,1 Prozent. „Bekanntheit ist die wichtigste Währung. Nur wenn ich bekannt bin, kann ich als Markenbotschafter wirken”, sagt Kupfer. 1:0 für Schweinsteiger. Auch Bayern-Torhüter Manuel Neuer (91,6 Prozent) und Weltfußballer Lionel Messi (83,3 Prozent) können Schweinsteiger im Heimatmarkt in dieser Hinsicht nicht übertrumpfen. Interessant hingegen, dass Messi in Deutschland noch bekannter ist als Götze.

Doch Götze gleicht im Nachschuss elegant zum 1:1 aus: Denn er kommt bei denjenigen, die ihn kennen, laut DBI überaus gut an. Seine Sympathiewerte (73,6 von 100 Punkten) liegen höher als die der Konkurrenten Schweinsteiger (70,1), Neuer (71,6) und Messi (65,5). Auch in allen anderen abgefragten Attributen – von Werbewirkung über Identifikation bis Vertrauen – stellt er aus Sicht der Deutschen Schweinsteiger und Messi klar in den Schatten. Nur Manuel Neuer hält mit dem Jungstar und künftigen Teamkollegen mit.

Eher ernüchternd für das deutsche Trio fällt der Blick auf die internationalen Daten aus: Der durchschnittliche Bekanntheitsgrad in Spanien, Italien, Großbritannien und Frankreich liegt – jeweils aufgerundet – für Schweinsteiger bei 38 Prozent, Neuer 32 Prozent und Götze 27 Prozent. Lionel Messi hingegen zeigt hier mit gut 81 Prozent Bekanntheit, dass er „als internationale Werbepersönlichkeit funktioniert”, wie Kupfer sagt. Auch die Wirkung des Barcelona-Stars ist in allen Bewertungskategorien besser als die der deutschen Nationalspieler, wobei in Europa Neuer und auch Götze im Schnitt deutlich besser rüberkommen als Schweinsteiger.

„Schweinsteiger, Götze und Neuer brauchen noch Zeit und vor allem nachhaltigen sportlichen Erfolg auf internationalem Level, um werbetechnisch an den Stellenwert eines Weltstars wie Messi heranzukommen”, sagt Philipp Kupfer. Nach Angaben von Repucom erlösen Götze und Schweinsteiger gegenwärtig ähnlich viel aus ihren Werbeverträgen: 1,5 bis zwei Millionen Euro im Jahr. Einen starken Part machen dabei die Ausrüster aus – Adidas bezahlt Schweinsteiger, Nike leistet sich Götze. Mit Mercedes-Benz hat Götze einen echten Blue-Chip im Portfolio, Schweinsteiger wirbt noch für Kartoffelchips und Deo.

Die Spielerberatungsagentur Sportstotal, die Mario Götze auch in seiner persönlichen Vermarktung betreut, trägt den Ausfall in London mit Fassung: „Es ist bitter, dass sich Mario vor dieser Weltkulisse nicht zeigen kann. Aber er wird in der kommenden Woche erst 21 Jahre alt – und spielt definitiv noch das eine oder andere Finale”, sagt Kai Birras, Marketingleiter bei Sportstotal dem Wall Street Journal Deutschland. „Es wird keinen Abriss in der Vermarktung geben, Mario wird mit seiner Performance auf dem Platz und seiner natürlichen Art weiter punkten”, ist Birras sicher.

Neuer mit erstaunlich starkem Profil

Beeindruckt zeigt sich Repucom-Direktor Kupfer von den „exzellenten Werten” des Nationaltorhüters Neuer. „Gerade als Torwart steht man nicht so im Fokus, die Werbeindustrie beachtet per se einen torgefährlichen Mittelfeldmann oder Stürmer mehr. Umso erstaunlicher, welch starkes Profil Manuel Neuer hat.” Er wird sich weiterhin profilieren können – in der Nationalmannschaft und auch beim FC Bayern, der sich anschickt, zu den Weltklubs wie Real Madrid, FC Barcelona und Manchester United aufzuschließen.

Ermittelt wurden die DBI-Werte am 20. April, also kurz vor den Triumphen der deutschen Top-Teams in den Halbfinals der Champions League – und auch unmittelbar vor Bekanntgabe des 37 Millionen Euro schweren Götze-Transfers zum FC Bayern München. In Dortmunder Fankreisen wurde die Nachricht mit Entsetzen aufgenommen, auf Götzes Facebook-Seite entwickelte sich der obligatorische Shitstorm. „Es wird spannend sein, die Daten der nächsten Welle gegen diese Nullmessung zu halten”, sagt Kupfer. Er erwartet jedoch keinen herben Imageverlust wegen des Wechsels zum Rekordmeister. Eher beflügelnd dürften dagegen Götzes Halbfinalauftritte in der Königsklasse wirken.

Auch Sascha Schmidt, Professor an der Universität EBS in Oestrich-Winkel, sieht den Götze-Transfer als gelungenen Coup der Bayern, der dem Ansehen des Spielers nicht schaden, sondern mittelfristig nutzen wird. „Die Aufregung um den Götze-Transfer wird wahrscheinlich überbewertet, ähnlich wie beim Neuer-Transfer von Schalke im Jahr 2011″, sagt Sportbusiness-Experte Schmidt mit Blick auf eine empirische Analyse. „Bereits kurz nach seinem ersten Pflichtspiel für Bayern war Manuel Neuer der neuntbeliebteste aller Bundesligaspieler aus Sicht der Bayern-Fans. Gleichzeitig gaben immer noch fast zehn Prozent der Schalke-Fans Neuer als ihren Lieblingsspieler an.”

Götze passt perfekt zu den Bayern

In einer Studie hat Schmidts Institut ISBS im September 2011 die Beliebtheit deutscher Top-Kicker abgefragt und exakt ergründet, welche verkörperten Eigenschaften sie bei den Fans zu Lieblingsspielern machen. Parallel ging es darum, welche Persönlichkeitsmerkmale bei den Anhängern der Bundesligavereine als besonders wichtig eingestuft wurden. „Mario Götze passt ähnlich wie Manuel Neuer sehr gut zum FC Bayern, weil die von seinen Fans wahrgenommenen Top-3-Kriterien deckungsgleich mit den Auswahlkriterien sind, die Bayern-Fans für ihre Lieblingsspieler anlegen”, sagt Schmidt. Bayern-Fans wählen ihre Lieblinge aus hauptsächlich drei Gründen: Am meisten zählt der Einsatz, zweitens die Leistung und drittens die Fähigkeiten und das Talent eines Spielers.

„Der Götze-Transfer macht nicht nur aus sportlicher Sicht Sinn für den FC Bayern”, sagt Schmidt. Der Rekordmeister hat sich den wohl größten Sympathieträger der Liga ins eigene Team geholt, so der EBS-Professor. Schon 2011 war Götze mit Abstand der Gewinner des EBS-Superstar-Rankings unter allen Bundesligaspielern. Mehr als 17 Prozent der Fans sämtlicher Vereine gaben ihn als Lieblingsspieler an, der zweitbeliebteste Spieler Thomas Müller kam ligaübergreifend auf acht Prozent. Bastian Schweinsteiger landete auf Rang fünf, Manuel Neuer wurde Zehnter. „Götze ist der vielversprechendste Bundesligaspieler, um Fans anderer Klubs anzuziehen”, sagt Schmidt. 46 Prozent der Fans, die Götze als ihren Lieblingsspieler nannten, waren Nicht-Dortmund-Fans.

Die Fans des FC Bayern bekommen mit Götze ab der Saison 2013/14 ihren absoluten Wunschkandidaten – er rangierte in München als einziger vereinsfremder Spieler bereits zwei Jahre vor seinem Wechsel in den Top 10. Laut Superstar-Studie war Götze als Dortmunder bei den Bayern-Fans bereits der sechstliebste Spieler, Götze fand somit mehr Anerkennung als der eigene Bayern-Torjäger Mario Gomez, Mittelfeldmann Toni Kroos oder eben Torwart Manuel Neuer. Schmidt bringt die Sache nüchtern auf den Punkt: „Der gebürtige Bayer Götze passt besser zum FC Bayern als zu Borussia Dortmund, weil die Auswahlkriterien, die ihn aus Sicht der Fans zum Lieblingsspieler machen, eine höhere Überlappung mit Präferenzen der Bayern-Fans als mit denen der BVB-Fans aufweisen.”

Und mit dem Götze-Coup betreiben die Bayern zudem ein cleveres Titel-Hedging: Denn eventuell kommt Götze ja nicht mal mit leeren Händen an die Isar. Gewinnt Borussia Dortmund am Samstag die Champions League, hätte der FC Bayern München in der kommenden Saison immerhin einen Titelträger in seinen Reihen. Lädierter Oberschenkel hin oder her.

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