Der Münchner Mehr-Wert
Michael Ashelm | 5/15/2013 | Frankfurter Allgemeine
Das Champions-League-Finale beflügelt die Phantasie: Der FC Bayern und Borussia Dortmund setzen so viel Geld um wie nie zuvor. Das Wachstum als Weltmarke des Fußballs wird weitergehen.
Nicht nur hierzulande spielen die Fans verrückt. Die Rivalität zwischen den Anhängern des FC Bayern und von Borussia Dortmund wird vor dem Champions-League-Finale auch in China leidenschaftlich ausgetragen. Dort ist derzeit das Phänomen einer jungen Fußball-Avantgarde zu beobachten, die engagiert den BVB unterstützt und sich mit der deutlichen Überzahl von Bayern-Anhängern in den Internetforen eine Schlacht liefert. „Das ist sehr extrem, auch eine Art Aufbegehren gegen das Fan-Establishment“, sagt Li Zhang. Der Journalist schreibt für die größte chinesische Sportzeitung „Titan Sports“ und ist ein Kenner des deutschen Fußballs. Berichtet er über den FC Bayern, wird ihm von gegnerischen Fans in der Heimat schon mal unterstellt, in böser Absicht die Dortmunder klein zu halten.
Die Gefühle der Fans in Peking, Schanghai oder Guangzhou zeigen, welche globale Kraft von dem deutschen Duell ausgeht. Die Fußballoffensive aus dem Süden und Westen der Republik ist dabei gerade eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Aber welcher Klub ist besser? Wer kann das größte Kapital aus dem Jahrhundertspiel schöpfen? „Darum geht es nicht“, sagt Carsten Cramer, Marketingdirektor beim BVB. „Wir orientieren uns nicht an den Bayern, sondern an uns selbst.“
Wer in diesen Tagen mit Cramer spricht, erhält einen Eindruck, was der Boom im Alltag der Borussia ausgelöst hat. Da sind nicht nur die halbe Million Anfragen aus der Anhängerschaft für Endspieltickets in Wembley. Weil der BVB beim Versand der fast 1000 Merchandising-Artikel an seine Grenzen stößt und nicht absehen kann, wie sehr die Nachfrage weiter nach oben schießt, wird der Verein diesen Bereich an den Logistikdienstleister Rhenus ausgliedern. „Der sportliche Erfolg macht attraktiv und weckt das Interesse. Er beflügelt das Geschäft. Wir haben Steigerungsraten, die für uns vor zwei Jahren noch unfassbar waren. Ich weiß gar nicht, wohin das noch gehen soll. Die Entwicklung ist ja fast beängstigend“, sagt Cramer. Allein im Merchandising erwartet der Klub in dieser Saison Erlöse von 30 Millionen Euro, ein Wachstum zum Vorjahr von fast 30 Prozent. Bis zu 330 000 Trikots könnten bis Saisonende verkauft werden. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat schon verkündet, dass der börsennotierte Klub erstmals einen Gesamtumsatz von 250 Millionen Euro erreichen wird. Der Kick, die Typen, die Emotionen – für den BVB ist es ein Fußballmärchen.
An Rekorde ist Bayern München gewöhnt. Aber auch die Verantwortlichen des langjährigen Branchenführers werden von dem riesigen Interesse der Fans überrascht. Meister- und Final-Kollektionen werden ihnen aus den Händen gerissen. Der Absatz wird gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent steigen. „Die Nachfrage hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Es ist unglaublich“, sagt Marketingvorstand Andreas Jung. Bis zum Ende der Saison werden wohl mehr als 600 000 Trikots über die Tresen gehen. Der Klub ist ein ökonomisches Bollwerk und spielt in einer eigenen Liga. Unerreichbar für die Dortmunder. Die Münchner holen in etwa doppelt so viel heraus wie der BVB. Ihr Umsatz wird dieses Spieljahr erstmals über 400 Millionen Euro springen, wie Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ankündigte. Die Einnahmen im Merchandising aus dem gesamten vergangenen Geschäftsjahr hat der Klub in dieser Saison schon zur Halbzeit übertroffen, mit 57,8 Millionen Euro. Beim Sponsoring erhalten die Münchner allein vom Hauptpartner Telekom durch zusätzliche Erfolgsprämien fast 30 Millionen Euro. Dabei handelt es sich um die Hälfte aller Sponsoreneinnahmen der Dortmunder.
Der Vorsprung ist nicht verwunderlich. „Die Dortmunder können nicht zwanzig, dreißig Jahre gute Arbeit des FC Bayern einfach mal schnell einholen“, sagt Fußballexperte Philipp Kupfer von der neuen Marktforschungsgesellschaft Repucom, ehemals Sport und Markt, in Köln. Aus seiner Sicht stehen beide Klubs an einem Scheideweg, aber jeweils auf unterschiedlichen Stufen. „Für die Bayern geht es darum, sich endgültig unter den Topklubs mit Real Madrid, dem FC Barcelona oder Manchester United als Weltmarke des Fußballs zu positionieren“, sagt Kupfer. Bayern-Vorstand Jung spricht von der „Internationalisierung“ der Marke. „Hier gibt es noch reichlich Wachstumspotential.“ Dazu passt die Ankündigung des Vereins in dieser Woche, einen weiteren Vorstandsposten zu schaffen. Vom Sportwettenkonzern Bwin kommt der Deutschland-Chef Jörg Wacker, der die Profite auf den lukrativen Märkten in China, Indien, Russland oder den Vereinigten Staaten steigern soll.
Der BVB ist dabei, seine Sponsorenstruktur, die bisher mehr von mittelständischen Unternehmen aus der Region geprägt ist, auszubauen. An Bord sind schon Konzerne wie Puma, Opel, MAN und Hankook, seit neuestem auch die Luftfahrtgesellschaft Turkish Airlines. „Darüber hinaus steht für die Dortmunder auch im Transfergeschäft der nächste Sprung bevor. Der Anspruch muss sein, Leistungsträger in Zukunft nach dem Münchner Vorbild zu halten und höhere Investitionen bei Spielereinkäufen zu tätigen“, sagt Kupfer. Dann müsste der BVB aber langfristig wie die Bayern auch mit einer negativen Transferbilanz kalkulieren. In diesem Fall wird mehr in Zugänge von Spielern investiert als durch Verkäufe verdient. Die Münchner weisen hier aktuell ein Minus von knapp 70 Millionen Euro aus, vor allem wegen des 40-Millionen-Transfers des Spaniers Martinez zum Saisonstart. Der BVB liegt bei plus 6,7 Millionen Euro.
Für die vier, fünf Großklubs in Europa werden Werbepartnerschaften mit Unternehmen in den Boomregionen dieser Welt immer interessanter. Die Verpflichtung Pep Guardiolas als Trainer ist für die Münchner als Sprungbrett fürs internationale Geschäft zu sehen. Manchester United arbeitet mit 14 Telekommunikationsfirmen rund um den Globus zusammen. „Wir müssen darüber nachdenken, ob wir künftig Rechte und Lizenzen auch regional, also nicht mehr generell mit globaler Exklusivität vergeben“, sagt Bayern-Mann Jung. Grundlage für die Pläne ist neben der sportlichen Attraktivität immer eine starke Präsenz.
Ihre Bilder und Botschaften schießen die Bayern 24 Stunden lang jeden Tag in die verschiedensten Kanäle. Der Internetauftritt bietet sieben Sprachen an. In China werden zwei populäre Web-Blogs betrieben. Das eigene TV-Magazin wird in 90 Länder exportiert. Es gibt Facebook, Youtube, Twitter, Online-Fanshop oder spezielle Applikationen für mobile Geräte. Auch die Dortmunder investieren kräftig in die Kundenbindung, nur auf einem etwas niedrigeren Niveau.
Der „Fan ohne Grenzen“ gibt viel Geld aus
Eine Studie der Privatuniversität EBS im Rheingau zeigt hier eine interessanten Entwicklung. Jeder vierte Fußballfan in Europa hat demnach neben dem Lieblingsklub in seinem Heimatland eine weitere Präferenz im Ausland. Das gilt noch viel mehr für die Fußballanhänger in Asien oder Nordamerika, die sehr stark nach Europa ausgerichtet sind. Dieser „Fan ohne Grenzen“ ist seiner zweiten Liebe nicht besonders loyal verbunden, sondern folgt dem Erfolg, den Stars oder dem Spektakel. Angeblich gibt er für dieses Hobby fast 900 Euro im Jahr aus. Es handelt sich um die perfekte Zielgruppe für die beiden deutschen Fußball-Kraftwerke. „Für diese Leute müssen die Vereine konsequent ihre Produkte entwickeln“, sagt der EBS-Professor Sascha Schmidt. Nach einer Repucom-Erhebung in elf wichtigen europäischen und asiatischen Märkten verfügen die Bayern dort derzeit über eine Basis von 17,8 Millionen Fans und der BVB von 5,5 Millionen.
Als letzte Investitionsreserve haben die Münchner noch einen weiteren Vorteil. Während die Anteile am BVB schon alle über Aktien herausgegeben wurden und nur noch Kapitalerhöhungen möglich sind, kann der FC Bayern einen Teil seiner Fußball-AG noch zu Geld machen. Bisher halten nur Adidas und Audi jeweils 9,1 Prozent. Weitere Millionendeals sind möglich. Auf der Forbes-Liste wird der deutsche Rekordmeister als fünftwertvollster Fußballklub der Welt geführt – mit einer Notierung von 1,235 Milliarden Dollar.